Das Implantieren künstlicher Hüftgelenke zur Behandlung schmerzhafter Arthrosen gilt als Erfolgsgeschichte der Medizin des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1960 und 1990 haben Orthopäden und Chirurgen den Gelenkersatz von einem experimentellen Eingriff zu einer Routineoperation gemacht. Zu den Protagonisten dieses Geschehens gehört der Schweizer Arzt Maurice E. Müller. Im Februar 1961 ersetzte er zum ersten Mal auf dem europäischen Festland ein komplettes Hüftgelenk durch Komponenten aus Metall und Kunststoff. Doch er handelte nicht allein. Personen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten wirkten bei der Entwicklung, Fertigung und Etablierung künstlicher Hüftgelenke mit, unter ihnen Mechaniker, Materialwissenschaftler, Ingenieure, Produktionsleiter, Manager, Schulungskoordinatorinnen und Datenbankspezialistinnen.
Das Buch bringt anhand von Zeitzeugenbefragungen das Netzwerk zum Vorschein, das in der Schweiz den Einstieg in die neue Medizintechnik in der Pionierzeit erst ermöglichte. Indem die Gespräche das Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft thematisieren, geben sie genauso Einblicke in die Herausbildung einer neuen Medizin wie in die Entstehung eines neuen Industriezweigs und – damit einhergehend – eines Milliardenmarkts. Nicht zuletzt verdeutlichen die Interviews, wie sehr der Erfolg der künstlichen Hüftgelenke auch auf Scheitern beruht.
Niklaus Ingold, Peter E. Ochsner, Hubert Steinke (Hrsg.): Maurice E. Müller und die Entwicklung künstlicher Hüftgelenke in der Schweiz. Zeitzeugenbefragungen zur Geschichte einer Medizintechnik, Bern: Bern Open Publishing 2023. [Open access]